Johann Paul von Westhoff

Johann Paul von Westhoff

Suite für Violine solo Nr. 1  a-moll
Allemande  -  Courente  -  Sarabande  -  Gigue

Suite für Violine solo Nr. 2  A-dur
Allemande  -  Courente  -  Sarabande  -  Gigue

Suite für Violine solo Nr. 3  B-Dur
Allemande  -  Courente  -  Sarabande  -  Gigue

Suite für Violine solo Nr. 4  C-Dur
Allemande  -  Courente  -  Sarabande  -  Gigue

Suite für Violine solo Nr. 5  d-moll
Allemande  -  Courente  -  Sarabande  -  Gigue

Suite für Violine solo Nr. 6  D-dur
Allemande  -  Courente  -  Sarabande  -  Gigue


Friedemann Amadeus Treiber
Sonate für Violine solo Nr. 2 
„Tombeau“

Die Nähe Bachs zu seinem unmittelbaren Vorbild Westhoff versucht Treiber durch Gegenüberstellung je eines Ausschnittes aus Bachs und Westhoffs Soli hörbar zu machen:

Johann Sebastian Bach: a.d. Fuge der Sonate  Nr. 2 a-moll
(Treiber aus der CD PODIUM WOW-005-2)

Johann Paul von Westhoff: Gigue a.d. Suite für Violine solo Nr. 1  a-moll

Hören Sie zuerst die ganze Gigue und dann die 4x wiederholten Gegenüberstellungen

Rolf Hans Jung - Reaktion auf Erstausgabe der CD

Die PODIUM-Erst-Ausgabe mit Friedemann Amadeus Treiber veranlasste die bachggesellschaft in Weimar vor Ort nach Westhoffs Spuren zu fahnden.

Das Ergebnis war fast sensationell: Es stellte sich heraus, dass der junge J.S. Bach bei seiner zweiten Anstellung in Weimar genau in das Haus einzog, in dem zuvor Westhoff wohnte !!! 

SO könnte die Gedanktafel für Westhoff und Bach aussehen ..

Westhoff und Bach gegenübergestellt

Weltersteinspielung des gesamten Zyklus

Westhoffs Solo-Suiten gehören zu den außergewöhnlichsten Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte! Der vorliegende Zyklus war bisher praktisch unbekannt.Fast ZWEIHUNDERTFÜNFZIG JAHRE war die bis heute EINZIGE greifbare, 1696 (!!!) gedruckte Ausgabe verschollen! Das bisher sich als Unikum erweisende Exemplar liegt seit 1913 in der südungarischcn Stadt Szeged, in der Städtischen Somogyi- Bibliothek (Signatur: F.h. 999). Es handelt sich um ein 30-seitiges Heft in Querformat, kupfergestochen. Leider fehlt das erste und das letzte Blatt des Heftes; so ist die Gigue der sechsten Suite nur ein Fragment, und auch das Titelblatt ist abhanden gekommen. Der Originaltitel ist daher unbekannt. Vorhanden ist aber die vollständige französische Widmung an die sächsische Königin Christine Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth, die den Namen des Komponisten enthält und auch über das Datum der Veröffentlichung Aufschluss gibt: Dresden, 6. Juli 1696.

Weitere FÜNFZIG Jahre bedurfte es, bis von den sechs Solo-Suiten, dem ersten umfangreichen Beispiel extremen polyphonen Violinspiels eine moderne Umschrift erstellt und zusammen mit dem Faksimile veröffentlicht wurde. Eine der beiden modernen Ausgaben wurde von Dr. Manfred Fechner und Dr. Wolfgang Reich erstellt.

Und noch einmal fast 30 Jahre verstrichen, bis die erste vollständige Einspielung dieses Zyklus aufgenommen wurde.

Angeblich solle in Brüssel noch ein weiterer Original-Druck lagern. Ich habe 3 Tage lang die in Frage kommenden Bibliotheken "durchgekämmt". Ergbnis: Fehlanzeige.

An der genannten Stelle war nur der moderne Nachdruck vorhanden ...

Michael Stegemanns Booklet-Beitrag

"Musik wird. Sie ist nicht."
(A. Weissmann: Der Dirigent im XX.Jahrhundert. Berlin 1925)

Unter den neun Musen ist Clio - "die Rühmende", die Muse der Geschichtsschreibung - bei weitem die kapriziöseste und ungerechteste, auch und vor allem, was ihre Behandlung von Musikern betrifft: dem einen, der zu Lebzeiten kaum bekannt oder anerkannt war, vergönnt sie posthum die größten und dauerhaftesten Erfolge, während ein anderer sich im Glanze des Ruhms sonnen darf, solange er auf Erden wirkt und wandelt, dafür aber in um so tiefere Vergessenheit stürzt, sobald Gevatter Tod ihm die Feder aus der Hand genommen hat.

Wer kannte denn - von Bachs Bearbeitungen einmal abgesehen - Antonio Vivaldi, bevor 1926 ein Sensationsfund in einem Piemonteser Salesianerkloster mehrere Bände seiner Werke zutage förderte? Wer wußte etwas von Jan Dismas Zelenka, bevor 1978 bei der Archiv Produktion der Deutschen Grammophon Gesellschaft jene spektakuläre Einspielung seiner Orchesterwerke mit der Camerata Bern erschien, die den Komponisten schlagartig berühmt machte? Und wer kannte wohl bis jetzt den Bach-Zeitgenossen Johann Paul von Westhoff...?

Bis Wolfgang Wendel und Friedemann Amadeus Treiber sich der sechs Solo-Suiten des Vergessenen annahmen, war auch für mich der Name "Westhoff" kaum mehr als eine Marginalie in einigen Lexika (die Sie im Booklet dieser Ausgabe nachlesen können). Als ich dann allerdings einen Roh-Schnitt der vorliegenden Aufnahme hören konnte, ging es mir wohl ein bißchen ähnlich wie dem Musikwissenschaftler Alberto Gentili, als er 1926 die ersten Konvolute mit Werken Vivaldis studierte: Wie um alles in der Welt konnte eine solche Musik bislang unentdeckt bleiben?!

Egal. Wichtig ist, daß sie es nun nicht mehr ist. Und daß diese Aufnahme vielleicht eine ähnliche Westhoff-"Renaissance" auslöst wie vor einem Viertel Jahrhundert die Zelenka-Einspielung. Musik braucht solcher Anstöße, um zu klingender Wirklichkeit zu erwachen. Und denen, die sie im Falle Westhoffs gegeben haben, sei hier dafür gedankt.
Michael Stegemann

Wolfgang Wendel - Appell an Ihre Phantasie

Stellen Sie sich vor: Ein 18-jähriger junger Mann - mit 10 Jahren verwaist, bei einem Bruder, einem Organisten, aufgewachsen - so unbremsbar musiksüchtig, dass er als Halbwüchsiger nachts eine vom Bruder streng verwahrte Sammlung von Orgel- und Klavierstücken abschrieb, früh im Kirchenchor mitsang, nach dem Stimmbruch sich auf Violin-, Orgel- und Cembalospiel verlegte, autodidaktisch zu komponieren anfing, in den Ferien 400 km zu Fuß nach Hamburg wanderte, um den Organisten Reinken sowie „Deutsche Opern“ zu hören, in Celle Lullys Musik gierig aufsog, weiterhin noch und noch Musik „berühmter Komponisten“ abschrieb, um sich „die ganze Vielfalt der abendländischen Satzweisen und Formen“ anzueignen - dieser junge Mann nun findet 1703 an einem herzoglichen Hof für 6 Gulden und 18 Groschen pro Quartal Anstellung als Lakei, verbunden mit der Verpflichtung, auch in der „Kammermusik“ des Brotherrn Dienst zu tun.

Und als “Sensation”: einer der größten deutschen Violinvirtuosen seiner Zeit ist im kaum 100 Meter entfernten Schloß des Bruders seines Brötchengebers im Hoforchester tätig. Es muß für den flügge werdenden Jüngling unfaßbar gewesen sein, was der prominente 47-jährige Virtuose auf der Geige leistete. Zwei-, drei- und vierstimmiges Spiel gehörte - bei völligem Verzicht auf den zeitüblichen „Zirkus“ - zu dessen Leidenschaften.

Denken wir daran: 1688 brüstete sich Johann Jacob Walther, er könne auf seiner Violine einen „ganzen Geigenchor, dazu eine tremolierende Orgel, eine Gitarre, einen Dudelsack, zwei Trommeln und Pauken, eine Drehleier und eine sanfte Harfe“ nachahmen! Biber hinterließ ganze musikalische Bestiarien und Mysteriensonaten; Schlachtengemälde waren an der Tagesordnung. Vom Herrscher finanzierte Musiker hatten zu unterhalten und zu repräsentieren! Und nun saß da in der benachbarten Residenz ein Geiger, mit einem abenteuerlichen Lebenslauf - er hatte in Ungarn an einem Türkenkrieg teilgenommen - und versuchte ohne Rücksicht auf spieltechnische Schwierigkeiten auf der Violine Musik zu erzeugen, die nur deren inneren Gesetzen folgte. Man durfte sich keine Gelegenheit entgehen lassen, diese Koryphäe zu hören und zu sehen! Unser junger Mann wusste noch nicht so genau, wohin ihn sein weiteres Leben führen würde. Er mag dunkel geahnt haben, was er 35 Jahre später so formulieren konnte: „Aller Music ... Finis und Endursache ... (solle) ... anders nicht, als nur zu Gottes Ehre und recreation des gemüths sein. Wo dieses nicht in Acht genommen wird, da gibt’s keine eigentliche Music, sondern ein Teuflisches Geplerr und Geleyer.“ - Der unbegreifliche puritane Virtuose neben ihm hatte gezeigt, dass mehr möglich sein musste, als ihm seine derzeitige Phantasie offenbaren konnte....
Zurück auf den Boden Sie haben sicher gemerkt: Der junge Mann war Johann Sebastian Bach, der prominente Geiger Johann Paul von Westhoff.

Bach wirkte im „Roten Schloß“ in der „Cammer-Musik“ von Herzog Johann Ernst III. von Sachsen-Weimar (1664-1707), Westhoff als Violinvirtuose und Sprachmeister in der Wilhelmsburg in der Hofkapelle von Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (1662-1728). Wir wissen nicht, was sich 1703 in Weimar zwischen Westhoff und Bach wirklich zutrug.

Bach und Westhoff konnten sich bei den begrenzten lokalen Verhältnissen nicht aus dem Weg gehen, sie hatten kaum die Chance, sich nicht zu begegnen! Normale Lebenserfahrung legt zwingend nahe, dass Bach alles daran setzte, Westhoffs Kunst - und seine Kompositionen - so weit wie möglich kennen zu lernen und Anregungen daraus zu ziehen. Dass Bach seinen eigenen Weg gehen würde, steht ebenso außer Frage.

Wenn wir uns über die Entwicklungsgeschichte des deutschen Violinspiels vor Bach kundig machen wollen, begegnen uns als Hauptvertreter die Geiger-Komponisten Walther, Biber, Schmelzer, Westhoff und Pisendel, wobei Westhoff ausdrücklich bescheinigt wird, das polyphone Spiel auf der Solo-Violine sogar über Bach hinaus vorangetrieben zu haben. Was aber kennen wir insbesondere von Pisendel und Westhoff, die beide mit Bach in Kontakt kamen?
Pisendel galt neben Vivaldi als der beste Geiger seiner Zeit. Seine Solo-Sonate wird so gut wie nicht gespielt, obwohl sie nahe an die - später geschriebenen - Solowerke Johann Sebastian Bachs herankommt. - Hier mache ich Sie natürlich auf eine Live-Aufnahme mit Jenny Abel aufmerksam! (Podium WOW-001-2)
Und Johann Paul von Westhoff? Er hat ein Vierteljahrhundert vor Bach einen Zyklus von sechs Suiten für Violine solo komponiert und im Druck erscheinen lassen!

Nachdem ich während der Vorbereitung vorliegender Einspielung Westhoffs Suiten wieder und wieder gehört habe, messe ich diesem Zyklus ohne jeden Zweifel die Rolle eines „missing link“ auf dem Weg zu Bachs Violin-Solo-Werken zu. Es ist geradezu faszinierend zu erleben, wie ein Musiker keine Mühen scheut, die Grenzen des auf einer Solo-Violine realisierbaren polyphonen Spiels weit hinaus zu schieben und im Gegensatz  zu seinen früheren Solo-Suiten, resp. deren Weiterführung sich „absoluter Musik“ zu nähern.

Gewiss, Westhoff benutzt im Gegensatz zu Bach ausschließlich die bereits tradierte Satzfolge. Es ist auch müßig zu spekulieren, „wie weit“ Westhoff noch gekommen wäre. Aber man beginnt zu begreifen: Dieser Weg musste zu Bachs Sonaten und Partiten führen!

Und DIESER ZYKLUS mit den sechs richtungweisenden Suiten liegt nun erstmalig in der Tonträgergeschichte KOMPLETT vor!

Schauen Sie auch  in die Presse-Informationen und die  STEREOPLAY-Rezension

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Etwa gleichzeitig spielte Kolja Lessing den kompletten Westhoffschen Suiten-Komplex in einem Konzert an der Musikhochschule Stuttgart .

Es ist die erste mir bekannte Gesamtdarstellung “LIVE” auf dem “heißen Podium”.

Der bei dem Konzert ebenfalls anwesende Ingolf Turban bezeichnete den Abend als “sensationell” - und zwar unter den Gesichtspunkten

1. einen so singulären Vorläufer zu Bach überhaupt wieder in unseren Gesichtskreis zu bringen

UND

2. diese spieltechnisch teilweise unglaublich  schwierigen Suiten auswendig darzubieten.

Kolja Lessing hat diesen Zyklus - aus dem er viele Jahre lang immer wieder einzelne Suiten öffentlich spielte - UND die Violin Suite in A major inzwischen auf CD aufgenommen (Capriccio 67083).