Violon fou - Holger Frey: Die Solo-Violine in der Romantik

Holger Frey

Ovide Musin (1854-1929): Arpeggios von Francois Prume mit In­tro­­duk­tion und Cadenza G-Dur von O. Musin

Ernesto Camillo Sivori (1815-1894): Adagio a-moll (1869)

Reinhard Schmelz (19. Jh.): Humoreske C-Dur (publ. 1892) und Lied G-Dur (publ. 1892)

Hubert Léonard (1819-1890): Romanze op.11 C-Dur (1847/48)

Louis Eller (1819-1862): "Choral et Choeur des Baigneuses " aus  "Die Hugenotten" von Meyerbeer, Tran­skrip­tion op.6 Nr.2 G-Dur (ca. 1855)

Johann Gottfried Hugo Schunke (1823-1909): "Spinnerlied" aus "Der fliegende Holländer" von Wagner, Transkription A-Dur (1901)

Sergej Rachmaninow (1873-1943) / W.H. Reed (1876-1942): Prélude op.3 Nr.2 cis-moll (1892, arr. 1942)

Frédéric Chopin (1810-1849) / Holger Frey (*1970): Prélude op.28 Nr.4 e-moll (1838/39, arr. 2007)

Isaac Albeniz (1860-1909) / X. Turull (1922-2000): "Asturias" aus Suite Espanole op.47 Nr.5, Transkription d-moll (publ. 1965)

Marry Norris (19. Jh.): The Bluebottle in the Window Op.10  ("Der Brummer in der Klemme"; Solo-Scherz für die G-Saite der Violine op.10

George Enescu (1881-1955): Prélude a. d. Suite op.9 Nr.2 C-Dur (1903)

RUGGIERO RICCI (*1918) / TRAD. : "Nocturne" Spanische Ballade d-moll

Edmund Singer (1831-1912): Prélude (Impromptu) op.5 G-Dur (1869)

Napoléon Antoine Eugène Léon de Saint-Lubin (1805-1850): "Adelaide" von Beethoven, Transkription in Form einer Etüde Es-Dur (1848) und Fantasie über ein Thema aus "Lucia di Lam­mer­moor" von Donizetti, Salon - und Konzert­stück op.46 D-Dur (1844)

Rachmaninoff-Reed: Prélude cis-moll

Chopin-Frey: Prélude e-moll

Saint-Lubin - Beethoven: Adelaide

Die Gedanken sind Frey - zur Literatur für Solo­violine

Neben den uns heute bekannten Solo-Sonaten und -Partiten von Bach (1720), Geminiani , Lonati (1712), Pisendel, Tartini und den Suiten Westhoffs (1683) [PODIUM WOW-019-2] entstanden in der Barockzeit auch kleinere eigenständige Solostücke wie z.B. die Präludien von Thomas Baltzar (um 1660) oder die Fantasia (1676) - des von einem Zeitgenossen 1674 »that stupendous violin« genannten - Niclas Matteis (I).

In der darauf folgenden Klassik waren Solosonaten für Melodieinstrumente sehr unbeliebt, so dass später Meister wie Mendelssohn Bartholdy oder Schumann die Bach-Sonaten bearbeiteten und eine Klavierbegleitung hinzufügten.
Nur wenige Komponisten dieser Zeit waren bereit, sich diesem Genre weiterhin zu widmen. So ist dieses Oeuvre klein aber doch  erwähnenswert. Es finden sich darunter zwei Sonaten von J.F. Reichardt (1778) und drei Sonaten von I. Khandoshkin. In Letztgenanntem kann man einen Nachfolger Bachs sehen. Im Kompositionsstil treten jedoch deutliche Unterschiede zu tage: Er verzichtet auf Polyphonie, wobei die harmonische Schreibweise reich und üppig bleibt.
Völlig entgegengesetzt hierzu verläuft die Entwicklung der kleinen Solopiecen - im Barock noch stiefmütterlich behandelt, erlebten sie nun ihre erste Blühtezeit.
Komponisten, die meisten selbst Violinisten, wie Dupont (Airs variés - 1772), Pichl (10 Varia­tionen - 1787), Cambini (Preludes - 1796), Campagnoli (6 Fugen Op.10 - 1802) und Bruni (6 Duos - 1809) ergänzten ihr Repertoire  meist durch solche kleine Zugabestücke.

Im selben Jahr wie Bruni schrieb auch sein Landsmann N. Paganini sein Duetto „Merveille“.

Beginnend durch seine rege Konzerttätigkeit ab 1810  - zuerst in Italien, dann in ganz Euro­pa  - schuf er neue Maßstäbe in den Bereichen Vermarktung, Selbstdarstellung etc.

Viele seiner Zeitgenossen, wie A. Boucher, versuchten ihn zu kopieren oder gar zu übertreffen.

Das Zeitalter der Virtuosen hielt Einzug.
Auswirkungen hatte dies auch auf das 1795 gegründete Pariser Conservatoire und die Begründer der französischen Violinschule - namentlich Rode, Kreutzer und Baillot.

Aus dieser Schule erwuchsen so berühmte Geiger wie Alard, Artot, Dancla, Garcin, Lafont, Léonard, Manén, Marteau, Massart, Sainton, Sarasate und de Bériot. Letzterer wurde 1843 Professor am Brüsseler Conservatoire - eine schicksalhafte Fügung für die nun aufstrebende Belgische Violinschule. Aus ihr gingen namhafte Geiger wie Vieuxtemps, Wieniawski, Marsick, Musin, Sauret, Ysaye, Grumiaux - um nur die bekanntesten zu nennen - hervor.
Die Blütezeit des Virtuosentums war nun an ihrem Zenit angelangt.
In Deutschland erwuchs aus der Berliner- und der Mannheim-Münchener Schule die Kassler Schule. Gegründet von Spohr war sie nun dank ihrer überragenden Repräsentanten wie David, Bott, Molique, Ries und Saint­-­Lubin führend im Deutschland des 19. Jahrhunderts.
Die Wiener Schule war ebenso im Auf­schwung begriffen. Ihre Lehrer Schuppanzigh, Böhm und Mayseder verhalfen Geigern wie Auer, Dont, Ernst, Hauser, Joachim, Pa­nofka, Singer und Mitgliedern der Familie Hellmesberger zum internationalen Durch­bruch.
Auch in Italien, England, Skandinavien, dem heutigen Tschechien und Ungarn waren in dieser Zeit ähnliche Entwicklungen zu verzeichnen.
Die Solosonaten eines Bachs fielen der Ver­gessenheit anheim.
Soloviolinstücke dienten den nun folgenden Virtuosengenerationen zur Schaustellung ihrer  technischen Fähigkeiten.
Angeregt durch die Solostücke eines Paganini wurden die geigerischen Schwierigkeiten durch Ole Bull (Quartetto -1834), Léon de Saint-Lubin (Lucia di Lammermoor-Fantasie Op.46 - 1843) und Heinrich Wilhelm Ernst (Erlkönig Op.26 -1854) auf die Spitze getrieben.
Viele Virtuosen kehrten dieser Entwicklung meist in den späteren Jahren ihres Lebens den Rücken und wandten sich vermehrt der klassischen Musikliteratur zu. Hierzu einige Beispiele:
So spielte Ernst mit Joachim, Wieniawski und Piatti in der Londoner Beethoven Quartet Society 1859. Sivori machte Furore in Paris schon 1843, als er Kammermusikwerke von Haydn, Mozart und Beethoven interpretierte. Léonard setzte sich stark für Brahms, sowie seine französischen Zeit­genossen Saint-Saens und Lalo ein.
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Johann Sebastian Bach und seine Zeit wiederentdeckt werden würde.
Die Renaissance erfolgte 1843 durch Drucklegung der Sonaten und Partiten Bachs dank Ferdinand David: Bach war wieder salonfähig!
Um 1855 komponierte David seine Suite Op.43. Ab den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts folgten dann die Solosonaten von Godard und Reger, sowie die Suiten von Sauret (Op.68 – 1907), Sinding (Op.123 – 1919) und Julius Röntgens Suiten und Sonaten (Op.68a/b – 1922) – letzte Erinnerungen an Bach.
Zoltán Szèkelys Solosonate Op.1 (1919/20)  weist den Weg in die Moderne.
Mit dem Aufschwung der Bach’schen Solosonaten Mitte des 19. Jahrhunderts ist auch der langsame Abgesang der virtuosen Sololiteratur verbunden.
Inspiriert durch die vergangene glorreiche Virtuosenzeit arrangierten Violinisten des 20. Jahrhunderts, darunter so namhafte Geiger wie Milstein und Ricci, weiterhin Stücke für Violine solo.

Dieser rote Faden zieht sich bis ins 21. Jahrhundert und möge noch viele Geiger und Liebhaber der romantischen Soloviolin-Literatur erfreuen.
Holger Frey, Februar 2009