PODIUM - Wolfgang Wendel
Violeta Dinescu: Mein Dank an Aurelian Octav Popa
Unsere musikalische Freundschaft war und ist für unsere Zusammenarbeit immer sehr inspirierend. Was uns verbindet, ist die Freude an Resonanzräumen, die Wege der Kommunikation eröffnen.
Aurelian Octav Popa ruft – mit seiner einmaligen Art – Klänge hervor, die als achtsame Lebewesen vor das geistige Auge treten. Man wundert sich jedes Mal, wie elastisch, transparent und farbenreich seine Klangbewegungen erscheinen. Seine fluktuierenden Melodien entfalten sich in Hörräumen und kreieren eine Mehrdimensionalität, die komplex ist und dennoch ganz natürlich wahrgenommen werden kann.
Seit Jahren hat er in der Bratschistin Sanda Crăciun Popa eine ideale Partnerin; mit ihr zusammen bringt er fantastische Welten ans Licht.
Ich habe das große Glück, immer wieder dabei zu sein.
Violeta Dinescus Projekt OCTAVA AUREA
Seit 1982 lebt Violeta Dinescu in Deutschland. Den Kontakt nach Rumänien hat sie gleichwohl nie verloren, weder persönlich noch ideell, weder real noch in tieferen Bewusstseinsschichten. Brücken dorthin bilde(te)n – als Quellen aus denen sie, ohne zu imitieren, immer wieder schöpft – volksmusikalische Repertoires ihres Heimatlandes und byzantinische Musik sowie die Nähe zu herausragenden rumänischen Musikerinnen und Musikern.
Neben der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Trio Contraste sind da besonders der Klarinettist Aurelian Octav Popa und dessen Frau, die Bratschistin Sanda Crăciun Popa, hervorzuheben. Violeta Dinescus Verehrung für dieses Duo kommt schon im Titel der CD Octavia Aurea zum Ausdruck. Die deutsche Übersetzung lautet „goldene Oktave“, doch Pate stand auch der Vorname des Klarinettisten, für den die Komponistin ein Zeichen der Freundschaft und der traumhaften Begegnung in und durch (ihre) Musik setzen wollte.
Zwar gaben Aurelian Octav und Sanda Crăciun Popa wesentliche Impulse für Octavia Aurea. Violeta Dinescus Werke sind darüber hinaus aber stets mit vielerlei Inspirationen verwoben. Dazu zählen Impressionen aus Natur und Literatur, aus Wissenschaft und Malerei, aus Alltag und Medien; ganz abgesehen von musikalischen Anregungen, die sich aus tiefgründiger geistiger Auseinandersetzung mit der Musikgeschichte ebenso speisen wie aus frühen Kindheitserinnerungen.
Besonders wichtig für Octavia Aurea war zum einen der Film „Drachenläufer“ („The Kite Runner“, 2007, Regie: Marc Forster) nach dem gleichnamigen Roman von Khaled Hosseini, der das Schicksal zweier Jungen – Amir und Hassan – und ihrer Familien unterschiedlicher sozialer Herkunft in Afghanistan von Ende der 1970er Jahre bis zur Herrschaft der Taliban (1996 – 2001) beleuchtet. Und zum anderen schwingen die mehrdeutigen Stimmungen in den Gedichten der Lyrikerin Eva-Maria Berg (* 1949 in Düsseldorf) im Hintergrund mit.
Für das fünfte der neun Stücke übernahm Dinescu gar den Titel des Poems für den flug, das Eva-Maria Berg ihr zugeeignet hat. Um konkrete Textvertonung oder Tonmalerei ging es ihr dennoch nicht, da ihre Musik trotz Beeinflussung durch außermusikalische Faktoren vor allem für sich selbst spricht. Entstanden sind acht der neun Solo- und Duostücke zwischen 2014 und 2019; einzig Clariwehlinos für Klarinette ist älter und stammt von 2004.
Egbert Hiller
Hans Werner Berretz (Ha Webe) hält sich nicht für einen Synästhetiker - zumindest nicht für einen Farbhörer. Ich würde die Frage mit einem glatten „JEIN” beantworten.
Ha Webe sieht seine Bilder als Reaktionen auf musikalische Emotionen und musiknahe Elemente (s.S. 6).
Ha Webe kann (seine) Bilder in Musik „(zurück-) übersetzen”. Folgerung: Musik und Bild sind für ihn Äquivalent! Eigentlich normaler als man zunächst meint!
Ich halte wenig von „Bilder erklären”. Aber bei Ha Webe drängen sich mir (eingeengt auf die hier verwendeten Bilder) Eindrücke und Schlüsse auf, die ich nicht für Zufälle halten kann.
Ha Webe kennt Violeta und ihre Musik schon lange, hat auch einiges davon in Bilder umgesetzt. Er verfügt damit bereits über „Dinescu-Inbilder”, oder wie Informatiker sagen würden: „Mentale Modelle”.
Diese mentalen Violeta-Modelle dürften den Hintergrund bilden, dem er seine Reaktionen aufmodellieren kann.
Lassen Sie selbst das ein oder andere Bild etwas länger bewusst auf sich wirken. Ich erwarte zwar nicht, dass Sie diese Bilder „singen” können - aber doch spüren, dass Sie NICHT GEGEN die Bilder „singen” könnten.
Plausibel dürfte sein, dass Ha Webe beim „Spielen eigener Bilder” jedes Mal zu anderen Ergebnissen mit in engen Grenzen,gehaltener „Grundgestimmtheit” kommen würde.
Wir empfinden dunkle Farben als drückend, beengend bis beängstigend. Auch ein Synästhetiker kann sich nicht von dieser Alltagserfahrung abkoppeln. Für „die Aura eines tiefen Brunnens“ in Ottava grave würde Ha Webe kaum helle bis strahlende Farben verwenden.
Die Überschneidungen unserer Empfindungen geben dem Maler, Musiker, Erzähler die Chance von uns „verstanden” zu werden. Wie nahe sich die beiderseitigen „mentalen Modelle” kommen, ist ein ganz anderes Problem - oft genug ein Lernprozess.
„Sich öffnen” mag für uns Empfänger hilfreich sein. Die Gebenden - Komponistin , Schriftstellerin und Maler - haben es bereits getan ....
(*1951 in Würselen) studierte Textildesign und Betriebswirtschaft in Aachen und Köln. 1986 gründete er die Künstlergruppe AVANTIERE. Mehrfach hielt er Gastvorlesungen an der UNI Köln.
Die Arbeiten von Hans Werner Berretz sind poetisch, malerisch und vorwiegend abstrakt. Sie erscheinen in ausdrucksstarken Farben und Farbverläufen. Gegenständliches wird oft in Form einer gewissen Zeichenhaftigkeit collageartig integriert. Ähnlich wie bei musikalischen Kompositionen entziehen sich die Arbeiten einer nur der Ratio folgenden Definition.
Ha Webe ist in seiner Malerei u.a. beeinflusst von Ingeborg Bachmann und Paul Celan (Huhediblu und Die Todesfuge).
Ha Webe, selbst ausübender Musiker, verwebt musikalische Emotionen und musiknahe Elemente (Notenskizzen, Partituren usw.) mit seiner Malerei.
Umgekehrt widmen ihm Künstler aus anderen Genres eigene Werke, so z. B. Bernd Hänschke Verblühtes Geräusch, Violeta Dinescu ihr Streichquartett (zu Ha Webe’s Reihe die Todesfuge nach Paul Celan).
Ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Auseinandersetzung mit dem Holocaust.
(nach Gesprächen mit Ha Webe )