POL-1029 mit Mark Hambourg "Historische Aufnahme des Jahres"

Mario-Felix Vogt wählt diese CD im FONO FORUM Dezember 2011 zur "Historischen Aufnahme des Jahres"! 

Danke für Mark Hambourg - und PODIUM!

Mark Hambourg Vol. 1

Peter I. Tschaikowsky: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 b-moll op. 23
Mark Hambourg - Royal Albert Hall Orchestra, Landon Ronald
(Rec. 28. September 1926, Kingsway Hall, London, Blüthner Flügel)

Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-moll op. 37
Mark Hambourg - London Symphony Orchestra, Malcolm Sargent
(Rec. 13-14 November 1929, Kingsway Hall, London) 

Mark Hambourg ging in die Literatur als der Pianist ein, der Tschaikowskys 1. Klavierkonzert als erster einspielte!

Fairerweise ist festzuhalten, dass Sapellnikov VIER Monate früher dran war ...
Ungeachtet dessen, ist es ein Zeugnis eines der ausserordentlichsten Pianisten.
Erstaunlich ist die Aufnahmequalität dieser Einspielung aus dem Jahre 1926!

Gleiches gilt für die Einspielung des Beethoven-Konzertes. Hier muss nachdrücklich auf die Verwendung einer Kadenz von Ignaz Moscheles hingewiesen werden. (siehe "Lockvogel" in HOME)

Liebe Musikfreunde, in den sechziger Jahren stolperte ich über eine Schilderung von Joseph Szigeti über einen Auftritt, bei dem auch der junge Mark Hambourg mitwirkte. Von da an schleppte ich durch Jahrzehnte im Hinterkopf die so plastisch wirkende Formulierung vom "löwenhaften Mark Hambourg" mit mir herum.

Als ich dann um 2010 herum in Wales bei einem Alt- und Gebrauchwarenhändler in einem unglaublichen Durcheinander einen Stoß - wider Erwarten tadellos erhaltener - Mark Hambourg-Schellackplatten fand, war der Entschluss endgültig reif, "etwas für Hambourg zu tun".

Was ich dann beim Aufbereiten der beiden hier vorliegenden Konzerte erlebte, war mehr als überwältigend!

Ich habe das Tschaikowsky-Konzert in den letzten Jahrzehnten zusammen nicht so oft gehört, wie in den Monaten seit Fertigstellung der CD!

Einige hartgesottene Freunde teilten meine "Geisterfahrer-Erlebnishaltung" uneingeschränkt und mit öfterem Hören ausnahmslos zunehmend.

Einer von ihnen meinte nach kurzer Zeit: "Das ist anders als alles was ich bisher mit diesem Konzert erlebt habe!"

Es ist durchaus einiges "gewöhnungsbedürftig".

"Gewöhnungsbedürftig" aber heißt hier auch: man realisiert auch, wie weit sich bei Tschaikowsky konventionelle Interpretationen in Richtung Sensationsheischen von Musizieren entfernt hat.

Hambourg mangelt es nicht an Energie - aber er läßt es nie "krachen"! Bei ihm sind es musikimmanente Energie-Entladungen, sie bleiben Teil der musikalischen, nicht eines zirzensischen Darstellung! Oder wenn er im zweiten Satz wie aus einem Tschaikowskyschen Ballett zitiert! Das mag manchen heutigen Hörer irritieren - für mich ist es eine lächelnd-ehrerbietende Verneigung vor dem Komponisten!

Beethoven: da taucht man bei den ersten Takten des Klavierparts in eine andere Welt ein!

Über Moscheles' Kadenz versuchte ich Sie schon auf der Titelseite stolpern zu lassen. Hören Sie sich jeweils den Beginn des Zweiten und des Dritten Satzes an. Spätestens dann müssten die Dimensionen des "löwenhaften" Musikers ahnbar werden.

Eines sollte man trotz der hier hearusgegriffenen Hörbeispiele vermeiden: das "Querhören" durch "interessante Stellen" - dazu ist Hambourgs Totale einfach zu schlüssig - und (konkurenzlos) eigenständig!

Bereits die Einleitung zu Tschaikowskys Schlachtroß nimmt sich wie eine zu feierlichem Schreiten auffordende Intrada aus:

Tschaikowsky: "Intrada", "Walzer" und Finale

Mark Hambourg und Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-moll

Damit Sie nicht vor- und zurück irren müssen, stelle ich die Moscheles-Kadenz noch einmal hier herein. Es sollte einige Gedanken zur Virtuosität von Beethoven-Zeitgenossen auslösen.

Zur Einleitung des zweiten Satzes meinte ein Freund mit lexikalisch umfassender Repertoire-Kenntnis, es die eindringlichste Darstellung, die er kenne - und er kennt einige ...

Ein anderer Aspekt, der sich durch beide Konzerte zieht, ist in den Schlusstakten es Finale zu hören: Freude am Spiel, vielleicht sollte man sagen Spiel als Lebensfreude oder falstaffscher Spaß am Spiel als Lebensphilosophie ....

Und noch etwas liegt über den beiden Konzerten, das durch das Auseinanderreissen nur zu ahnen ist: pulsierende Erzählkunst, Atmen, Balance im Umgang mit Gewichtung des Ausdrucks.

Beetoven Klavierkonzert Nr. 3: Moscheles-Kadenz, Beginn des Largo, Schluss des Rondo-Finales

1 - Title : Largo Beginn


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Kollegen-Worte

Although Mark Hambourg and Landon Ronald gave concerts together on numerous occasions, they only recorded together once, in their 1926 account of the Tchaikovsky 1st Piano Concerto. Some listeners may find the choices of tempo in this recording to be odd in places, but Hambourg considered Ronald to be an outstanding accompanist, and this is obviously the way they wanted the piece to go. Ronald’s book „Myself and Others – Written Lest I Forget” contains the following signed picture of Hambourg. The dedication reads „To my friend Landon Ronald, a memento of one of the finest performances of the Tchaikovsky Piano Concerto“.

Andreas Kunle: Allgemeine Anmerkungen

„Eine Kritik, die nur auf die Schwä­chen eines Kunstwerkes hinweist, muss schwer gerügt werden. Sie muss ebenso auch die Schönheiten des Werkes suchen. Den Wert ei­nes Stückes bestimmt nicht die Fehlerlosigkeit, das Verschweigen der Schönheiten kommt aber einer Verurteilung gleich." Diese Worte Franz Liszts, die sich auf die Beur­tei­lung schöpferischer Kunst be­ziehen (und bei denen es sich eigentlich um eine Binsenweisheit für den Kri­tiker handelt!), gelten ohne Fra­ge auch für die Beschäftigung mit der Arbeit der „nachschaffenden" Künst­ler, der Inter­preten, die im Fal­le der Musik wichtiger sind als die Exegeten in jeder anderen Kunst. Gerade dann aber, wenn die­se Interpreten auf ganz eigenen Pfaden wandeln und uns mit Un­ge­wohntem kon­frontieren, scheint es, als kämen uns selbst Binsen­weis­heiten allzu leicht abhanden. Liszt - mit seinem reichen Erfahrungs­schatz als höchst individueller und progressiver Komponist und Inter­pret - hat obige Worte sicher im Be­wusst­sein sowohl ihrer Selbst­ver­ständlichkeit als auch ihrer Notwen­digkeit geäußert. Und notwendig ist es tatsächlich, sich auch eigentlich Selbst­verständliches immer wieder klar zu machen: Nur eine differenzierte, nicht allzu vorurteilsbelade­ne Betrachtung (von völliger Vor­ur­teilsfreiheit kann man höchstens träu­men), vermag einer mu­si­kalischen In­terpretation halbwegs ge­recht zu werden. So soll im Fol­gen­den versucht werden, sich ei­nem Bruchteil des von dem Le­sche­tizky-Schüler Mark Ham­bourg uns auf Platten Hinter­las­se­nen zu nä­hern. Es versteht sich von selbst, dass hier manches nur angerissen werden kann, vieles unerwähnt blei­ben muss. Natürlich finden sich dabei auch einige Binsen­weis­heiten...
Zunächst sollte man sich vor Augen halten, dass die Lebensspanne des 1879 geborenen Pianisten in einen Zeitraum fiel, dessen Charakte­ris­tika und Stan­dards, damit auch Le­bens­art und Ästhetik, mehrfachen  gravierenden Ver­­änderungen und Um­brü­chen un­terworfen wurden und al­les andere als deckungsgleich mit dem heute An­ge­sagten sind.
Hambourg erlebte das zaristische Russland, die englische parlamentarische Monarchie, die österreichische Kaiserzeit, zwei Weltkriege. Er war Zeuge enormer Fortschritte in der technologischen Entwicklung (die sich für ihn besonders auf dem Gebiet der Ton- und Bildauf­zeich­nung auswirkten).
Greifen wir die Wiener Jahre heraus, weil sie eine besonders prägende Pha­se seines Lebens darstellen: In seiner Zeit als Schüler Leschetizkys, in den 1890er Jahren, erlebte er als Jugend­licher die Kultur der Musikhochburg Wien. Und das wirklich aus nächster Nä­he: Er lauschte ehrfürchtig den Be­richten älterer Schüler, die von Liszts Besuchen und seinem überwältigenden Spiel im Hause Le­sche­tizkys (mit einer Brandy-Fla­sche auf dem Flügel) erzählten (Mark verwahrte noch in späteren ­ Jahren eine Haarlocke, ein Zigar­ren­etui und einen Spazierstock Liszts als Re­li­quien), er saß direkt neben Anton Rubinstein, als dieser vor der Lesche­tizky-Klasse einen Abend gab (stets in der Erwartung, von dessen gewaltigen Händen er­schlagen zu werden).
Auch kam es vor, dass er seine Ferien mit seinem Lehrer, Brahms und Johann Strauß verbrachte. (Hiervon berichtet er, dass Brahms und Strauß es liebten, Karten zu spielen, während Leschetizky an einem anderen Tisch komponierte. Brahms stichelte dann gerne und fragte den be­rühmten Klavierpädagogen, ob er wie­der eines seiner leichtgewichtigen Stücke schreibe, worauf Ham­bourgs Lehrer antwortete: „Sie wä­ren doch froh, wenn Sie so leichtgewichtige Sachen schreiben könnten!")  Auch die Schüler anderer Wiener Lehrer weisen auf die Prä­gung durch die damalige Wiener Musikszene hin: Da kam es vor, dass der Klavierlehrer plötzlich vor der Tür stand und den Schüler an­wies, alles stehen und liegen zu lassen, da Brahms gleich bei Freun­­den Kammer­musik spielen wer­de.
Freilich nicht erst in Wien, sondern be­reits von frühester Jugend an in Russ­land, und später in London, hatte Ham­bourg exzellenten Un­ter­richt von seinem Vater erhalten. Selbst Lesche­tizky, der Wien für den Nabel der musikalischen (vor al­lem natürlich pianistischen), Welt hielt, war von der hohen Qualität der Ausbildung beeindruckt, als der Knabe ihm erstmals vorspielte. Hambourg bezeichnete später als die größte Stärke des Unterrichts bei seinem Vater und bei Lesche­tizky, dass beide sich unendlich viel Zeit für jeden Schüler und jedes einzelne Pro­blem genommen hätten.  Dasselbe wird übrigens auch von Czerny, dem Lehrer Lesche­tiz­kys (und Liszts!), berichtet, der seinerseits Beethovens Unterricht hat­te genießen dürfen. Neben dem so entscheidenden Faktor Zeit weist Hambourg (und dies Anfang der 1950er Jahre!) in seiner zweiten Auto­bio­graphie „The Eighth Oc­tave" auf die vergleichsweise wenigen Ablenkungen seiner Jugend­jahre hin: Man habe sich damals einfach besser auf seine Arbeit kon­zentrieren und intensiver mit De­tails beschäftigen können. In je­dem Fall sind die hier skizzierten Gegebenheiten kein ungeeigneter Nährboden für das Ge­deihen eines außerordentlichen Talents - und Ta­lent wurde Hambourg aus be­rufenem Munde attestiert (Busoni, Pa­de­rewski, Friedman). Natürlich darf bei alledem auch nicht übersehen werden, dass die Musikkultur da­mals nicht nur Vorzüge aufwies. Sie war mancherorts grausam unterentwickelt, wofür Ham­bourg genügend (teils sehr unterhaltsame) Belege anführt. Auf seiner ersten Welt­tour­nee beispielsweise, die ihn mit ge­rade mal 16 Jahren nach Australien führte, trug es sich zu, dass er Cho­pins 1. Klavierkonzert mit einem zweiten Kla­vier spielen musste, da am Ort kein Or­chester aufzutreiben war. Den mit dem Or­chesterpart betrauten Flügel hatte man - quasi un­sichtbar - im dunklen Be­reich der Bühne platziert, das Solo­instrument im Schein­wer­fer­licht. Da Freun­de Hambourgs im Pub­li­kum sa­ßen, ist  die folgende (für den damaligen australischen Kulturstan­dard durch­­aus bezeichnende) Bege­ben­heit einigermaßen glaubhaft überliefert: An den Stellen nämlich, an denen das Solo­instrument pausierte und Ham­bourg die Hände von den Tas­ten nahm, während das zweite Kla­vier den Or­chesterpart fortsetzte, erregte die schein­bare Fähigkeit Ham­bourgs, ohne Verwendung seiner Finger Musik zu machen, größtes Erstaunen. Ein Hörer freilich hat­te eine Erklärung: „Ich glaube", so ließ er seine Begleiterin wissen, „er macht das mit den Pe­da­len."
Auch andere Pianisten von Welt­rang be­richten von Vorkomm­nissen, die heu­te - zumindest in den Metro­polen - un­denk­bar wären: So wurde Godowsky ein­mal während eines Klavierabends in Amsterdam - er spiel­te gerade den Trau­ermarsch aus Chopins b-Moll-So­nate - die von ihm vor dem Auftritt be­stellte Kanne Tee serviert. Der Kellner ver­harrte obendrein sogar noch ne­ben dem Flügel, um zu kassieren.      
In diesem völlig anders gearteten Mu­sik­betrieb wichen natürlich auch Quan­tität und Qualität der Pianisten von heutigen  Gegebenheiten ab: Nicht, dass die allerbesten Pia­nis­ten der Vergan­genheit den heutigen Spitzen­leuten nicht das Wasser reichen könnten, ihre Qualitäten sind auf vielen Aufnahmen dokumentiert. Vielleicht ist auch ihre Anzahl nicht kleiner als heute. Aber von dieser absoluten Spitze abgesehen, besteht kein Zweifel, dass es heute insgesamt viel mehr und deutlich bessere Klavierspieler gibt als frü­her. Gewisse Standards und An­sprü­che haben sich im Lauf der Jah­re verändert, manches galt ehedem als unspielbar, was heute vielen zugänglich ist (Schumann be­zeichnete die Liszt-Etüden als „Sturm- und Grauseetüden für vielleicht zehn oder zwölf auf dieser Welt", Rellstab empfahl, die Cho­pin-Etüden nur in An­wesenheit ei­nes Arz­tes zu üben). Mark Ham­bourg weist darauf hin, dass man früher mit einem Mini-Repertoire Kar­riere habe machen können (wo­bei zu bemerken wäre, dass allein unter dem Aspekt der Quali­täts­si­cherung ein be­grenztes Reper­toire, wie es unter den modernen Pia­nis­ten Mi­chelangeli hegte und pflegte, durchaus auch Vorteile hat.)
Ein ganz wesentliches Charakte­ris­tikum, das Gegenwart und Vergan­gen­heit unterscheidet, und das zwei­fellos stark mit der Ent­wick­lung und Verbreitung der Musik­kon­serve zusammenhängt, scheint dabei der Stellen­wert der technischen Perfek­tion zu sein. Fast alle historischen Aufnahmen weisen, da ungeschnitten, falsche Töne auf. Heute werden makellose Studio-Aufnahmen veröffentlicht, und auch Live-Mit­schnitte, die selbst in unseren von technischem Perfek­ti­ons­streben geprägten Tagen nicht ohne Fehler sind, werden oft nachträglich korrigiert (die bereinigte Sprungstelle der Schu­mann-Fantasie beim Horo­witz-Come­back in der Carnegie-Hall ist ein be­rühmtes Beispiel).
So ist im Lauf der Zeit mit den wachsenden Möglich­keiten der Toninge­nieure und der fast aus­schließ­lichen Produktion technisch höchst­­rangiger Aufnahmen auch die Ge­fahr für Pia­nisten und Publikum stets größer ge­wor­den, sich an eine perfekte technische Ausführung als etwas völlig Selbst­verständliches zu gewöhnen. Die extreme Fokus­­sierung auf diesen Aspekt kann der Beschäftigung mit tieferen musikalischen Problemen abträglich sein. Beruhigend ist jedoch, dass es etliche hochklassige Pianisten in der Gegenwart gibt, die sich mit Haut und Haaren dem Eigentlichen ihrer Materie verschrieben haben, bei denen musikalische Darbietungen Oasen der Fan­tasie und Poesie sind, so dass dem Primat des perfekten Funktionierens (das bedenkliche Parallelen zum Funk­tionieren auf anderen Gebieten von Ge­sellschaft und Technik aufweist), ge­gengesteuert wird. Vielleicht sollte man also fast dankbar sein, dass die Mög­lichkeiten der akustischen und elektrischen Aufnahmen über Jahrzehnte begrenzt blieben und nicht dazu verleiten konnten, die Perfektion der technischen Aus­füh­rung zu stark in den Vordergrund zu rücken. Es darf bezweifelt werden, dass Busoni seine nicht ganz fehlerfreie Einspielung der Cam­pa­nel­la-Etüde auch dann mit dem Hin­weis autorisiert hätte, das Stück sei so schwer, dass es überhaupt nicht völlig fehlerfrei ausführbar sei, wenn er die Fehler hätte ausmerzen können. Denn wenn wir uns die Ein­spielungen auf Rol­lenklavieren an­sehen, stellen wir fest, dass auch schon in der Frühzeit bei Klavier­aufnahmen korrigiert wurde: Diese Ein­spie­lungen sind im allgemeinen fehlerfrei, weil Korrekturen leicht angebracht werden konnten, in­dem man die gestanzten Löcher zu­klebte und an die richtigen Stellen setzte.
Es soll hier keineswegs der Ein­druck entstehen, die his­torischen Aufnah­men seien den modernen ausgerechnet wegen der fehlenden Korrek­tur­mög­lichkeiten über­­­legen. Obwohl gerade aus diesem Mangel auch Vorteile entstehen können, ist nicht von der Hand zu weisen, dass in der Frühzeit der Musik­auf­zeich­nung geradezu haarsträubende Schwie­rigkeiten auftreten konnten. Mark Hambourg, ein Pionier im Ton­studio, der 1909 seine erste Aufnahme machte, berichtet, dass beispielsweise in den frühen Tagen der Schallaufzeichnung ausgerechnet hervorragende Instrumente nicht verwendet werden konnten, weil sie sich mittels des zunächst üblichen akustischen Verfahrens nicht so gut abbilden ließen. Statt­dessen konnte es sein, dass Ein­spielungen auf Klavieren gemacht wurden, die eher einem Draht­verhau äh­nelten, aber brauchbare Resultate im Wachs hinterließen. Ebenso konnte der Pianist gezwungen sein, seine mühsam erarbeitete Fassung eines Stücks völlig über den Haufen zu werfen, weil das Aufnahmegerät die Differenzie­run­gen der Dynamik und Artikulation nicht an­ge­messen reproduzierte. Noch beim elektrischen Verfahren gab es böse Überraschungen: Hambourg beschreibt den Versuch, ein leises, filigranes Stück aufzunehmen, das bei der Wiedergabe wie ein Wagnerscher Helden­marsch geklungen habe. Dennoch stellte die nach dem 1. Weltkrieg einsetzende Entwicklung des elektrischen Verfah­rens einen deutlichen Fortschritt dar. Was allerdings noch geraume Zeit problematisch bleiben sollte, war der bei der Auf­nahme verwendete Tonträger: Bis zur Einführung einer verbesserten, modernen Platte (und noch später der Tonbänder), war die Aufnah­me­zeit der Wachsmatrizen auf etwa viereinhalb Minuten begrenzt (was immerhin schon eine Verbesserung gegenüber den Matrizen einige Jahre davor darstellte.) Dies konnte zur Folge haben, dass ein Pianist (z. T. erhebliche) Kürzungen vornehmen oder phasenweise wesentlich schnel­ler spielen musste als er eigentlich beabsichtigte. Allein das Bewusstsein, dass ein Stück vielleicht gerade noch auf die Platte passt, kann das Wohlbefinden wäh­rend des Spiels wesentlich be­einträchtigen!
Bei den vorliegenden Einspielun­gen der Konzerte von Beethoven und Tschai­kowsky waren zwar die gravierenden Aufnahmeprobleme der akustischen und frühen elektrischen Ära überwunden, dennoch waren Fehler noch nicht korrigierbar und es bestand weiterhin die Schwierigkeit der limitierten Auf­nahmedauer. Zumindest das 1926 eingespielte Tschaikowsky-Kon­zert musste daher in viele Abschnitte zerlegt werden. Diese Stückelung, die auf Schellackplatten noch zu ständigem Wechseln der Scheiben zwingt, ist auf der vorliegenden CD akustisch na­türlich nicht wahrnehmbar. Dennoch kann man sich leicht vorstellen, dass das Spielen eines großen Konzerts in relativ kleinen „Häppchen“ den Schwung und den „großen Zug" einer Inter­pre­tation gefährdet.
Die beiden Klavierkonzerte auf dieser CD gehören nicht nur zu den bekanntesten, beliebtesten und meistgespielten in den Konzert­sä­len und Aufnahme­studios, sondern nehmen auch in Hambourgs Reper­toire einen besonderen Platz ein. In sei­nen autobiographischen Schrif­ten „From Piano to Forte" (London 1931) und „The Eighth Octave" (London 1951) finden sich mehr Be­merkungen zu diesen beiden Kom­positionen als zu irgendeinem an­de­ren Werk.
Beethovens 3. Klavierkonzert
hatte der Pianist offenbar bereits vor 1900 im Repertoire. Er spielte es erst­mals in Brüssel unter der Lei­tung von Eugène Ysaÿe. Der große belgische Geiger, Dirigent und Kom­­ponist (mit dem Hambourg auch viel Kammer­mu­sik aufführte), hatte dabei nach Ham­bourgs Be­richt an­scheinend - zu­min­dest zeitweise - ge­wisse Ausfallerschei­nun­gen, da er von der Schönheit des Werks so in den Bann gezogen wur­de, dass er das Dirigieren vergaß und nur ver­zückt lauschte.
Als Mark Hambourg nach dem 2. Welt­krieg erstmals wieder in Deutschland auftrat, spielte er eben­­­falls Beethovens Konzert in c-moll. Er teilt mit, dass bei diesem Ereignis in Bielefeld einige Kla­vier­­liebhaber direkt nach seiner Dar­bietung zu ihm hinter die Bühne gekommen seien. Als das Pro­gramm mit Wag­ners Siegfried-Idyll fortgesetzt wurde, seien die Leute dennoch bei ihm geblieben. Auf seinen Hinweis, dass sie ja nun einen Teil des Abends verpassen wür­den, sei die Antwort gewesen: „Wagner war der Lieblingskomponist von Hitler. Damit wollen wir nichts mehr zu tun haben." Und einer habe sein Hosenbein hochgekrempelt und ihm sein Holzbein gezeigt.
Neben dem 3. hatte Hambourg übrigens von den Beethoven-Konzerten „nur" das 5. im Repertoire, vom 4. (das ihm eigentlich sehr hätte liegen müssen), meinte er, er habe das Gefühl, dass Frauen es besser spielten als Männer - und so ließ er kompromisslos die Finger davon.
Über seine Auf­fassung des c-moll-Konzerts äußerte er sich in „The Eighth Octave" ausführlicher: „Der erste Satz […] sollte mit ei­ner heroischen Grund­auffassung in einem eher bedächtigen Tempo ge­spielt werden, obwohl viele Pianisten ihn schnell und weich auf Mozart-Art spielen. Den göttlichen langsamen Satz bin ich bestrebt, mit der äußersten Zartheit und erhabener Em­pfin­dung vorzutragen. Das Rondo wird im All­gemeinen mit Leichtigkeit gespielt, lebhaft funkelnd, wieder wie Mozart, aber ich bevorzuge es moderato, mit einem etwas bukolischen Humor im Geist eines Bau­ern­fests." Vergleicht man die­se Äu­ßerungen mit den Hörein­drücken sei­ner hier vorliegenden Aufnahme (bei der Malcolm Sargent am Pult stand), so ist festzustellen, dass im Kopfsatz von einer „heroischen Grund­auf­fas­sung" nach heutigen Maß­stäben wohl eher selten die Rede sein kann. Es sind (sieht man von der virtuos und mit be­herztem Zugriff dargebotenen Kadenz ab), allenfalls ganz vereinzelte „heroische" Züge auszumachen - es sei denn, der Heros wäre hier vor allem Mensch und Poet. Schon der Be­ginn dieses heute meist energisch vorwärtsstrebend und ziemlich mus­kulös ge­spielten Konzerts steht unter Ham­bourgs Händen ganz im Zeichen von Poetisierung und unerhörter Klang­schönheit. An die Stelle des geradlinigen Spiels und des direkteren, klaren, durchaus ath­letischen Zugriffs, wie von Gi­lels, Arrau oder Michelangeli bei die­sem Konzert bevorzugt (und in un­seren Vorstellungen oft mit Wer­ken Beet­ho­vens wie diesem verbunden), tritt eine Klavierästhetik, die man in vielen Ham­bourg-Auf­nahmen findet (und die im Klang­­lichen, wenn auch mit individueller Ausprägung, das Spiel vieler Le­sche­­­tizky-Schüler kennzeichnet): Die Schönheit des Tons ist hier oberstes Ge­bot, oftmals heruntergespielte Ton­lei­terpassagen werden ästhetisiert und kommen mit schwebender Leichtigkeit -und dennoch klangvoll - daher. Dies gilt erst recht für die lyrischen Stellen, de­ren es dank des poetisierenden An­satzes mehr gibt als man gemeinhin glaubt. So nimmt sich Hambourg die Zeit und die Freiheit, um Alt­bekanntes umzudeuten: Schon die Beantwortung der Tonleiter­auf­gänge und des Forte-Hauptthemas, meist dem reibungslosen Fortgang geopfert, gerät so zu ei­nem Inne­hal­ten, das weitere "poetische Kon­sequenzen" nach sich zieht, die sich als derart zauberhaft und be­törend erweisen, dass einem manch liebgewordene Darstellung des Werks im Ver­gleich mit Ham­bourgs Sicht geradezu stromlinienförmig und nüchtern er­scheint. Er­staunlicherweise verliert sich Ham­bourg dabei doch nicht im Detail - es geht stets gut mitvollziehbar weiter,  nicht zuletzt auch durch ein im­mer wieder neues Anziehen des Tem­pos. Und verblüfft muss man feststellen: Diese eigentlich für un­sere Ohren sehr ungewohnte Beet­hoven-Auffas­sung, die auch andere Hambourg-Auf­nahmen, wie das Fi­nale aus Op. 2 Nr. 3 kennzeichnet, und die eher an einen wie Chopin ge­spielten Mozart denken lässt, be­kommt dem c-moll-Konzert aus­gesprochen gut. Im 1. Satz spielt Ham­­­bourg übrigens - wie er sich ausdrückt: „in Ermangelung einer besseren" - die Kadenz von Ignaz Mosche­les.
Dieser war bekanntlich Schüler Beet­hovens, und seine Ka­denz scheint von Beethoven selbst gutgeheißen worden zu sein. Mo­scheles' Sohn Felix war gut mit Mark Hambourg befreundet. Von ihm erhielt der Pianist das Exem­plar des 3. Beethoven-Konzerts, das seinem Vater Ignaz gehört hat­te und in dem sich dessen Eintragungen befinden. (Irgendwie waren die Verbin­dun­gen von Mark Hambourg zum „alten Beethoven“ immer wieder erstaunlich eng, nicht nur über die Czerny-Le­sche­tizky-Linie!) Den 2. Satz dürfte man überhaupt kaum jemals schöner zu hören bekommen, er erklingt ganz so, wie der Pianist sich darüber geäußert hat. Hier finden sich eine wunderbare, schwebende Leichtig­keit, ein betörend schöner Klavier­klang, ein völlig natürliches Flie­ßen. Nirgends wird forciert, alles ist unaffektiert und gelöst - und dabei in höchstem Maße ausdrucksvoll. Hambourg spielt zart, aber nie verzärtelt, mit wahrlich „erhabener Em­pfindung". Auch das Schluss­rondo ist geprägt von der typischen Leschetizky-Klangqualität. Man staunt, wie viel Mozart, wie viel Leichtigkeit in diesem Satz steckt, der doch heute zumeist eher etwas bärbeißig, bohrend und energisch gespielt wird. Allein die Finesse, mit der Hambourg jedes Mal die Ton­leitern in das wiedererscheinende Rondothema münden lässt, macht die Aufnahme dieses Satzes hörenswert. Es wäre also höchstens zu fragen, wo in Hambourgs Darstellung des letzten Satzes der von ihm erwähnte „Geist eines Bau­ernfests" zu finden ist.
Wer freilich eine „modernere" (oder vertrautere) Beethoven-Sicht bevorzugt, der mag an dieser Inter­pre­tation des 3. Klavierkonzerts von Beethoven bemängeln, dass ihr die gewohnte Gerad­linigkeit und die „dem Schicksal in den Rachen greifende“ Beethoven-Pranke weitestgehend fehlen. Doch die Qua­­litäten dieser Einspielung auf der Seite des Poetischen und des Klang­li­chen sind unüberhörbar. Die von Arthur Ru­bin­stein (und auch Walter Niemann) geäußerte Kritik an Mark Hambourgs hartem Ton ist anhand der hier vorliegenden Aufnahme zu keinem Zeitpunkt nachvollziehbar. Vielmehr lässt sich eher erahnen, warum Le­schetizky beim letzten Zusammen­treffen mit Ham­bourg be­­merkt haben soll, dass das Spiel seines ehemaligen Schülers wie das keines anderen Pia­nisten an die überwältigende, freie Klavier­kunst des Russen Anton Ru­binstein erinnere. Vielleicht hat bei Arthur Rubinsteins negativer Beur­teilung doch auch ein gewisser Neid auf die mühelose Vir­tuosität Ham­bourgs eine Rolle gespielt (den er aus dem gleichen Grund auch Horowitz gegenüber em­pfand), vielleicht ist es die ge­waltige Per­sön­lichkeit Mark Ham­bourgs gewesen, die nach mehreren Zeugnissen wie ein Natur­er­eignis über die Umwelt hereinbrechen konnte (und so gar­ nicht zu seiner un­gemein poetischen Klang­kunst zu passen scheint): Artur Schnabel beispielsweise schildert den Studien­kol­le­gen Mark Ham­bourg als „stämmigen und ziemlich aggressiven Kerl", der - in Um­keh­rung eines Bonmots von Lesche­tiz­ky über Schnabel - nie ein Musiker werden könne, er sei ein Pianist. (Diese Aver­sion wan­delte sich übrigens später in gegenseitigen Re­spekt).
Auch der Diri­gent Landon Ronald weist auf die dröhnende, vor Energie und Kraft schier berstende Persön­lich­keit Mark Ham­bourgs hin: An ihm sei -  „außerhalb [!] des Klaviers" - alles for­tis­simo, der Händedruck, das Kar­ten­spiel, die verbale Be­grüßung; seine Vi­ta­­lität sei überwältigend, sein Tem­pe­ra­ment vulkanisch. Er kenne keine zwei­te so geartete Persönlichkeit und sei sich auch nicht sicher, ob man sich ei­nen weiteren „For­tis­si­mo-Mark" wünsche.
Die immer wieder in der Literatur anzutreffenden Negativurteile über Mark Hambourgs Technik (u. a. in dem an sich so lesenswerten Kult­buch Die grossen Pia­nisten von Harald C. Schon­berg) lassen sich durch viele seiner Ein­spie­lun­gen entkräften - nicht zu­letzt auch durch die hier vorgestellte des Beet­ho­ven­-Kon­zerts. Überdies sollte die Aussage eines der größten Pia­nis­ten aller Zeiten, nämlich Ferruccio Busonis, Hambourg verfüge über die „größte na­tür­liche Klaviervirtuosität al­ler le­benden Pianisten“, ausreichen, die Kritiker zum Überdenken ihrer An­sicht zu veranlassen.
Eine ähnlich hohe Meinung hatte auch Ignacy Jan Pade­rew­ski. Ignaz Fried­man, Assistent bei Le­schetizky und selbst ein Über-Virtuose, seufzte immer wieder: „Ham­bourg macht es besser!"
Übrigens dirigierte Ferruccio Buso­ni die Londoner Erstaufführung seines eigenen, grausam schweren Kla­vier­kon­zerts mit keinem anderen als Mark  Hambourg am Flü­gel.
Es kann freilich bei alledem nicht bestritten werden, dass der Viel­spieler Ham­bourg (der schon 1906, etwa Mitte Zwanzig, sein 1000. Konzert gab und nur sieben Jahre später die Zahl 2000 erreichte), auch Schlam­pe­reien hinterlassen hat (wie in den Einspielungen einiger Lisztscher Rhapsodien), jedoch sind die Be­lege seiner technischen Meister­schaft zu zahlreich, um Zufall sein zu können. Auch bei dem offenbar so ähnlich spielenden Anton Ru­bin­stein bestand ja trotz aller Fehler und Un­deut­lichkeiten nie ein Zwei­fel an seinen ungeheuren Fähig­kei­ten: Kein Gerin­ge­rer als der Super­techniker und Anton Rubin­stein-Schüler Josef Hofmann äu­ßerte einmal: „Wir sind alle Kinder im Vergleich zu meinem Meister".
Wie Anton Rubinstein hatte auch Mark Ham­­bourg ein erstaunlich entspanntes Verhältnis zu falschen Noten, beim Ab­hören einer Aufnahme soll er bei einem deutlich hörbaren Fehlgriff gegrinst und gesagt haben: „Gut! Wir sind keine Maschine."