PODIUM - Wolfgang Wendel
Aus Lugano erhalten wir die Nachricht, dass Leopold Casella nach 32jähriger Tätigkeit als Dirigent des Radioorchesters Monte Ceneri auf Ende dieses Jahres von seinem verantwortungsvollen Amte zurücktritt. Es wäre unverantwortlich, bei dieser Gelegenheit die Dienste zu übersehen, die diesem verdienten Meisterdirigenten gebühren. Schon mit Beginn seiner Dirigententätigkeit hat Leopold Casella nicht nur die Werke der großen Meister aufgeführt, sondern auch jungen Talenten des Auslandes, insbesondere aber den Schweizer Komponisten seine Aufmerksamkeit und Liebe zugewandt, sie auf jede Weise gefördert, bekannt gemacht und dadurch in ihrer Arbeitslust ermutigt Die Dirigierkunst Casellas bestand nie in einem Schaudirigieren für ein sensationslustiges Publikum, was ja bei Studioaufführungen, die seltener öffentlich sind, Gott sei Dank auch weniger ins Gewicht fällt. Nutzlose Dirigierbewegungen sind für die Orchestermusiker völlig überflüssig und lenken den Zuhörer vom innerlichen Erfassen der Musik nur ab. Casella dirigierte schlicht, einfach mit leichter und selten feinfühliger Hand, so etwa, wie es noch bei Artur Nikisch, Franz Schalk, Bruno Walter Hans Knappertsbusch und anderen Meistern der älteren Dirigentenschule der Fall war. — Casella diente als echter Musikant, vom Inhalt der Werke inspiriert, nur der Musik. Dabei blieb er als Mensch immer liebenswürdig und als Künstler stets bescheiden, Vor wenigen Tagen vollendete er sein 65. Lebensjahr. Heimatberechtigt im tessinischen Barbengo und in Montevideo geboren, erfolgten seine Musikstudien zuerst in Parma und während sechs Jahren am Dr.-Hochschen-Konservatorium in Frankfurt am Main, mit Diplomabschluss als Konzertpianist und in Komposition. Bis zu seiner Berufung als Chefdirigent in Lugano wirkte er mehrere Jahre als Kammermusiker und Konzertpianist und darnach naturgemäss auch öfters als Gastdirigent in der Schweiz und im Ausland. Von 1937 bis 1954 war er als Vertreter des Kantons Tessin Mitglied des Vorstandes im Schweizerischen Tonkünstlerverein.
Der Unterzeichnete ist Leopold Casella für viele Aufführungen seiner ersten Orchesterkompositionen zu tiefem Dank verpflichtet und sendet seinem Freund und Gönner nebst herzlichen Geburtstagsglückwünschen alle besten Wünsche zu einem gesegneten „otium cum dignitate“, denen sich alle deutschschweizerischen Zuhörer seiner Konzerte mit Begeisterung und Dank anschliessen.
Richard Flury